Schon einmal stundenlang online gedankenlos Inhalte konsumiert, durch Videos gescrollt und über Bilder geswipet, sodass du irgendwann einfach nur noch passiv berieselt wurdest? Wird deine Aufmerksamkeitsspanne von Binge-Marathon zu Binge-Marathon gefühlt immer kürzer? Oder hast du über Tage wie ein Echo wieder und wieder den gleichen Ohrwurm eines viralen Memes im Kopf?
Ja? Dann hast du wie fast jeder, der das Internet sein Zuhause nennt, “Brain rot” live erlebt.
Was ist “Brain rot” eigentlich?
“Brain rot”- das durch öffentliche Abstimmung gewählte Oxford Wort des Jahres 2024 bietet eine Begrifflichkeit für eines der meistdiskutierten Phänomene im Zusammenhang mit digitalem Medienkonsum. Mit Hirnverfall bzw. “Brain rot” wird in der Online-Kultur der negative Einfluss von Medieninhalten auf die eigene Gedankenwelt und Fähigkeit zur Aufmerksamkeit beschrieben.
Also analog dazu wo damals noch die (Groß-)Eltern Angst davor hatten, dass ihre Kinder vor dem Fernseher “verdummen” und nichts anderes mehr im Kopf haben als die TV-Inhalte, spricht man im Internet nun mehr oder weniger selbstironisch von “Brain rot”. Wobei Hirnverfall und Verdummung das generationenübergreifende Phänomen nur oberflächlich und sehr unvollständig beschreiben.
3 Aspekte von “Brain rot”
“Brain rot” umfasst in der digitalen Popkultur gleich mehrere Aspekte: Mentale Erschöpfung, Verlust von kognitiver Leistungsfähigkeit und Obsession.
Mentale Erschöpfung meint dabei das Gefühl einer kognitiven Müdigkeit durch den exzessiven Konsum von Medien. Klar, dass stundenlanges Scrollen durch Social Media irgendwann dazu führt, dass das Gesehene nicht mehr so richtig bewusst verarbeitet werden kann. Der Kopf filtert noch schnellstmöglich, ob wir Swipen oder ob wir den vorgeschlagenen Inhalt konsumieren. Für eine bewusste Auseinandersetzung mit Inhalten fehlt irgendwann die Kraft und man fühlt sich “matschig”.
Ähnlich verhält es sich mit dem Verlust von kognitiver Leistungsfähigkeit. Wer schon einmal eine oder mehrere Staffeln einer neuen Serie auf Netflix in einem weggebinget hat, wird gemerkt haben, dass die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit und zum Verständnis des Plots irgendwann schwächelt. Soweit so normal – logisches Denken, Aufmerksamkeit und so ziemlich jeder bewusste Gedankengang kosten mentale Ressourcen und die sind irgendwann erschöpft, erholen sich aber wieder. Ein Grund sein eigenes Konsumverhalten zu hinterfragen liegt aber spätestens dann vor, wenn du bei dir selbst Verschlechterungen der kognitiven Leistungsfähigkeit feststellst, die über Abweichungen aufgrund der Tagesform hinausgehen.
Dann gibt es da noch “Brain rot” im Sinne einer Obsession. Wer sich online so exzessiv mit einem Thema oder einer Person auseinandersetzt, dass sich die Gedanken auch abseits vom Medienkonsum darum drehen, der ist mitten drin im “Brain rot”. Die digitale Welt bietet dazu quasi unendlich viel Content zu fast jedem Rabbit Hole, in das man sich begeben möchte. Wenn der Menge an konsumierbaren Inhalten also keine Grenzen gesetzt sind, steht dem Ausleben einer Hyperfixierung und Obsession nichts mehr im Wege. Das Hirn wird mit Inhalten zu der Obsession vollgepumpt bis sie die eigene Gedankenwelt vollständig eingenommen hat.
Die psychologischen Hintergründe von “Brain rot”
Bei all den Schattenseiten – warum geben wir uns überhaupt dem “Brain rot” hin? Einerseits kann es der Bedürfnisbefriedigung wie dem Streben nach positiven Emotionen oder der Illusion sozialer Verbundenheit dienen. Die Jagd nach der nächsten Dopamin-Ausschüttung treibt uns auch beim Medienkonsum an. Die Chance beim Betrachten des nächsten Instagram-Posts, beim Ansehen des nächsten TikToks oder beim nächsten Serien-Cliffhanger positive Emotionen zu verspüren, verleitet uns dazu, stumpfsinnig damit fortzufahren.
Ähnlich verhält es sich bei parasozialen Beziehungen, die online durch vermeintlich nahbare Prominente, Influencer und fiktionale Charaktere entstehen können. Dadurch, dass wir so ziemlich zu jeder Person, die in der Öffentlichkeit steht, Unmengen an Text-, Video- und Bildinhalten im Internet finden können, kann ein Gefühl von vermeintlicher Nähe, eine parasozialen Beziehungen, eintreten. Das reicht von einfacher Vertrautheit bis zu der Überzeugung, die Person wirklich von ihrer privaten Seite zu kennen. Dass das rational gesehen wenig Sinn gibt und dass das, was wir über die Person erfahren können, oft ein vorteilhaft kurierter Ausschnitt aus deren Leben ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Im Sinne des “Brain rot” steht im Vordergrund, dass ausreichend Material vorhanden ist, um sich exzessiv mit der digitalen Präsenz der Person auseinanderzusetzen.
“Brain rot” lässt sich psychologisch auch im Rahmen der Informationsverarbeitung einordnen. Auf der einen Seite steht das Phänomen, dass beim ausschweifenden Medienkonsum durch die Informationsflut mentale Müdigkeitserscheinungen oder sogar Verringerung der kognitiven Leistungsfähigkeit eintreten können. Auf der anderen Seite kann sich im Falle einer Obsession die Art und Weise, wie wir Informationen aufnehmen, ändern. Beispiele dafür sind Verzerrungen in der Wahrnehmung dadurch, dass wir die Themen überbewerten und andere Interessen vernachlässigen. Wer “Brain rot”-besessen von einem Thema ist, für den ist es online leicht seine Aufmerksamkeit selektiv nur noch auf die Obsession zu richten. Die Algorithmen der Social Media Plattformen können das durch Isolation in eine passenden Content Bubble fördern.
Welche Strategien gibt es im Umgang mit “Brain rot”?
Wer sich darüber bewusst ist, hin und wieder in exzessiven gedankenlosen Medienkonsum zu verfallen, hat den ersten Schritt bereits getan. Sich seiner eigenen Gedanken bewusst zu werden und Gedankenschleifen zu durchbrechen, ermöglicht Distanz zum “Brain rot”-Auslöser.
Selbstreflexion kann dabei helfen, sich selbst zu fragen, ob der eigene Medienkonsum noch verhältnismäßig ist. Manchmal bedeutet “Brain rot” auch, dass wir online Content konsumieren, ohne wirklich unterhalten zu werden oder Spaß zu haben. Die bewusste Neuordnung der eigenen Prioritäten und Interessen bietet sich dazu an. Welchen Anteil meiner Freizeit will ich wirklich mit gedankenlosem Scrollen verbringen?
Digital-Detox und Offline-Aktivitäten sind ebenso hilfreich, wenn es darum geht, seinem Gehirn eine mentale Pause zu einzuräumen. Gerade die Möglichkeit, die Gedanken schweifen zu lassen oder sich bewusst und konzentriert mit einem Thema und einer verdaulichen Menge an Informationen zu befassen, bildet einen starken Kontrast zum “Brain rot”.
Fazit: Stimulier dich richtig
Gen Alpha und Gen Z haben es wieder groß gemacht, aber das Phänomen “Brain rot” gibt es so oder so ähnlich schon immer. Neue Arten von Medienkonsum bringen eben neue Möglichkeiten zur Überstimulation mit sich. Da hilft nur eine gesunde Selbstregulation und ein bewusster Umgang mit Social Media und Online Content.
Manchmal ist es auch einfach in Ordnung und unterhaltsam, sich berieseln zu lassen. Du kannst auch mal ein Wochenende nutzen, um mehrere Staffeln der gerade entdeckten Serie auf Netflix durchzusuchten. Genauso ist auch mal okay dich zur Ablenkung oder zum Abschalten mit Memes und Trends in Kurzvideoformaten auf TikTok zu fluten. Solang es dich unterhält und dir hilft abzuschalten, ohne dass sich mittel- und langfristige negative Auswirkungen – also echter “Brain rot” ergeben, go for it!
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